Neringa Vasiliauskaitė
Repetitions & Rituals
Die Ausstellung wird kuratiert von Lena von Geyso und Patricia Drück
Neringa Vasiliauskaitė entwickelt für den Kunstraum München einen Zyklus neuer raumbezogener Arbeiten, die an Erinnerungsmomente ihrer Kindheit anknüpfen. Die vielschichtigen und mehrdeutigen Werke, sowohl an der Wand als auch im Raum verteilt, fungieren als Metaphern für wiederkehrende alltägliche Rituale und untersuchen die Transformation von verschiedenen Aggregatzuständen, Zeitsträngen sowie damit verbundenen Emotionen und Bedeutungen.
Die groß- und kleinformatigen Objekte aus bedrucktem Textil auf gepolstertem Untergrund, begossen mit Epoxidharz und eingearbeiteten Elementen aus Holz, lassen die Grenzen und Bedeutung zwischen Innen und Außen verschwimmen und eröffnen ein Spiel zwischen Material(transfer) und Wiederholung, Imitation und Gegensätzlichkeit: Glänzende Oberflächen erinnern an Leder von Möbeln oder an menschliche Haut – ähnlich eines künstlich geschaffenen Körpers; scheinbar harte Oberflächen werden fließend, weiche Oberflächen härten aus oder reproduzieren sich selbst in Form und Textur.
Neringa Vasiliauskaitės Praxis ist beeinflusst von Theorien des Psychoanalytikers Didier Anzieu und des Xenofeminismus. Sie interessiert sich dafür, wie Objekte die Umwelt aufnehmen und diese durch ihre Oberfläche, ihre Haut, reflektieren, als ob sie Informationen aus verschiedenen kulturellen Ebenen und Generationen in sich tragen würden. Inspiriert wird die Künstlerin von Alltagsgegenständen und Formen, die sie in ihrer Umgebung, in der Natur und im öffentlichen Raum wahrnimmt. Dabei experimentiert sie nicht nur mit den Werkstoffen in teils ergebnisoffenen Prozessen; zerlegt oder dekonstruiert Fundstücke, sondern fügt die verschiedenen, oft synthetischen Materialien in neuen Oberflächen und Objekten zusammen. In diese werden persönliche Erinnerungsfragmente der Künstlerin eingearbeitet und mit Motiven von kosmologischen Ordnungen und archetypischen Symbolen verknüpft. Die Kombination verschiedener Träger erschließt Schicht für Schicht die eingeschlossenen Erinnerungen und Erfahrungen, seien sie persönlich, sozial, historisch oder kulturell. Sie werden quasi in ihren verschiedenen Schichten und Geschichten bloßgelegt und ihres Zweckes enthoben, um in ihnen Neues, noch nicht Entdecktes zu finden.
Zentrales Motiv der Objekte sind von Glas umhüllte »Sekretas« sog. »verborgene« oder »eingefrorene« Fundstücke, die einen spezifischen Moment oder Tag aus der Vergangenheit reflektieren. Der Name »Sekretas« geht auf eine Freizeitbeschäftigung von Kindern und Jugendlichen aus Litauen zurück, bei der kleine Gegenstände, wie Blumen, Flaschendeckel oder gefundene Objekte unter Glas oder eine Glasscherbe gelegt und diese mit Erde oder Staub bedeckt wurden. Passant:innen konnten sie zufällig entdecken oder sie verschwanden für immer aus dem Blickfeld. Die »Sekretas« dienen in der Ausstellung als Metapher für innere Räume, für die Verhandlung der Grenze zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem, zwischen dem Körperlichen, dem Haptischen und dem Digitalen.
»Repetitions & Rituals« lädt dazu ein, die subtile Grenze zwischen Innen und Außen zu erkunden, das Verständnis von Identität und die Beziehung zur digitalen Welt zu reflektieren und eine neue Sensibilität für die Bedeutung von Körperlichkeit und Erinnerung zu schaffen, indem kulturelle Schichten aufgedeckt und durch subjektive Erfahrung betrachtet werden.
Gefördert durch: Erwin und Gisela von Steiner-Stiftung, Alexander Tutsek-Stiftung
Programm:
Führung mit der Künstlerin und den Kuratorinnen
Sonntag, 30. Juni 2024, 17 Uhr
Gastvortrag und Gespräch zur Ausstellung
Samstag, 13. Juli 2024, 17 Uhr
PD Dr. Jörg Sternagel, Medienphilosoph, Universität Passau:
»Den Sachen auf den Grund gehen – Zur Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeit der Dinge«
Am Samstag, den 13. Juli um 17 Uhr, laden wir herzlich zu einem Vortrag und Gespräch im Rahmen der aktuellen Ausstellung »Repetitions & Rituals« von Neringa Vasiliauskaitė ein. Zu Gast ist PD Dr. Jörg Sternagel (Medienphilosoph, Universität Passau), der die Ausstellung zum Ausgangspunkt für Überlegungen zum Thema »Den Sachen auf den Grund gehen – Zur Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeit der Dinge« nimmt:
»Wie lässt sich, inspiriert von den Exponaten der Künstlerin Neringa Vasiliauskaité, über Dinge sprechen? Wie können wir über ihre Materialität, Schichtung und Oberflächlichkeit sprechen, und warum lohnt es sich, den Sachen damit auf den Grund zu gehen? In meinem Vortrag nehme ich diese Fragen zum Anlass, um ausgewählte Aspekte einer Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeit der Dinge sowohl in der Ausstellung als auch in unserer Alltagswelt herauszuarbeiten. Dabei geht es zum Beispiel darum, sich zu überlegen, dass zwar etwa eine Schere uns ›leibhaftig‹ gegeben ist, aber doch leblos, physikalisch ›schlicht‹ vor uns liegt. Die Schere bleibt daher als objektives Ding auch unter veränderten subjektiven Bedingungen das, was sie ist, auch wenn sie ›altert‹, indem sie unscharf wird. Ist es so gedacht möglich, einem Gegenstand wie der Schere nachzuspüren, im Nachdenken und Nachvollziehen der jeweils eigenen subjektiven Bedingungen gegenüber diesem objektiven Ding, dem auch etwa seit der Kindheit oder Jugend häufig verwendeten Objekt, das sich nicht verändert hat, auch wenn es Gebrauchsspuren aufweist? Wie haben wir uns verändert? Was ist Gegenstand, Thema, Mittelpunkt unseres Denkens, Schaffens und Schreibens? Worauf richten wir unsere Aufmerksamkeit, auf welches Objekt, gar Ziel?«
Jörg Sternagel ist Privatdozent für Medienwissenschaft und lehrt an der Universität Passau. Er ist Mitantragsteller des DFG-Projekts Visuelle Bildung 2022–2025 und des DFG-Netzwerkes für Medienphilosophie 2017–2019 und arbeitet im Beirat der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik und des internationalen Netzwerkes Performance Philosophy. Ausgewählte Veröffentlichungen sind die Monografien »Ethik der Alterität. Aisthetik der Existenz« (2020) und »Pathos des Leibes. Phänomenologie ästhetischer Praxis« (2016) sowie die Mitherausgaben »Denken des Medialen. Zur Bestimmung des Dazwischen« (2024), »Die Gegenstände unserer Kindheit. Denker:innen über ihr liebstes Objekt« (2019) und »Techniken des Leibes« (2016).
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Der Eintritt ist frei. Es ist keine Anmeldung erforderlich.
Foto: Thomas Splett